Etwa 600 Skiunfälle im Monat – Alltag in der Notaufnahme eines kleinen Krankenhauses nahe eines Schweizer Skigebietes. Hier arbeitete Anja* zwei Jahre lang als Unfallchirurgin und behandelte neben den Einheimischen in der Skisaison auch sehr viele touristische Patienten. Doch nicht nur medizinisch war die hohe Anzahl an Unfällen eine Herausforderung – in einem Interview teilt sie mit uns ihre Erfahrungen und was aus ihrer Sicht im Wintersport zu beachten ist:
Bei geübten Fahrern entstanden Skiunfälle hauptsächlich durch zu hohe Geschwindigkeiten oder ungünstige Wetterbedingungen, zum Beispiel bei sulzigem Schnee oder vereisten Pisten. Bei den Anfängern ereigneten sich die Verletzungen meistens in den ersten Skitagen, da sie noch nicht richtig „drin“ waren.
In der Regel gilt: Je älter die Menschen mit dem Skifahren anfangen, desto häufiger die Verletzungen, da der Körper nicht mehr so flexibel, nicht mehr so schnell lernfähig ist.
Das ist absolut wichtig. Man sollte Helme nicht nur tragen, weil es immer wieder gesagt wird, sondern aus eigener Überzeugung.
Denn eins muss jedem klar sein: Wenn man Ski fährt, kommt man auf Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h. Es gibt jede Menge Apps, die das messen. Patienten zeigten mir damit stolz mit wie vielen km/h sie verunfallt sind. Das entspricht meist schweren Autounfällen.
Jeder Motorradfahrer weiß, dass er einen Helm tragen muss, weil er sonst sterben kann. Das muss auch Skifahrern bewusst sein. Beispiel Michael Schuhmacher, der trotz seiner guten Ausrüstung schwer verunglückt ist. Der Schutz ist das, was man für sich tun kann.
Immerhin: Die Patienten, die wir aufgenommen haben, waren ziemlich verantwortungsbewusst. Es gab selten jemanden, der mit einer ungenügenden Ausrüstung unterwegs war. Helme und Skibrillen wurden konsequent getragen.
Es gab häufig Gehirnerschütterungen. Durch die hohe Geschwindigkeit auf der Piste ist auch die Wucht des Aufpralls höher. Das kann auch der Skihelm nur noch bedingt abfangen. Ein Klassiker ist das Knie: die Skier gehen beim Sturz nicht auf, das Knie verdreht.
Die Skischuhe sind inzwischen so gut, dass Knöchel eigentlich kein Problem mehr sind. Solche Verletzungen gibt es etwas mehr bei den Snowboardern. Und natürlich gibt es häufig Handgelenksbrüche, weil die Menschen stürzen und sich abstützen wollen.
Sehr selten. Wenn Alkohol getrunken wurde, dann meistens erst nach dem Skifahren. Denn die kurzen Skitage wollten auch genutzt werden.
Zu Beginn meiner Zeit in der Schweiz lag die Zahl im Winter grob geschätzt bei etwa 600 aufwärts pro Monat und im Sommer bei etwa 400.
Bedingt durch den Klimawandel überdachte die Schweiz ihr strukturelles Sommerangebot und baute das Gebiet für Mountain-Biker aus. Damit waren es – meist verursacht durch Downhill-Unfälle – auch im Sommer ca. 600 Patienten pro Monat.
Konsens war, dass man sich so gut es ging auf Englisch verständigte. Oder man bemühte das Internet. Die Reiseversicherungen hatten eigentlich rund um die Uhr einen Ansprechpartner, der sehr gut Englisch sprechen konnte.
Uns war klar: Je nach Herkunftsland und Krankenkasse des Patienten werden manche Behandlungskosten übernommen und manche nicht. Gerade bei Touristen aus den osteuropäischen Ländern war das der Fall.
Da wir die Versicherungen aber zum größten Teil rund um die Uhr erreichen konnten, konnten wir noch vorab klären, ob Kosten für etwa eine Computertomographie übernommen werden.
Mit der europäischen Versicherungskarte (EHIC) war es meist kein Problem. Ansonsten war eine Kostenübernahmegarantie üblicherweise in den Reiseversicherungen enthalten.
Wenn das jedoch nicht gegeben war, mussten die Patienten zunächst ca. 1.000 Franken als Depot hinterlegen. Sobald mit den Krankenkassen geklärt war, dass sie die Kosten übernehmen, bekamen die Patienten ihr Geld wieder.
Hätten wir die Behandlungen immer auf Kulanz gemacht, wären wir sicher auf einer hohen Summe an Kosten sitzen geblieben.
Teilweise mussten wir lange auf die Antwort der Krankenkassen warten. Die Verwaltungskräfte, die die Patientenaufnahme gemacht haben, konnten bereits einiges im Vorfeld klären. Aber wenn es unklar war, hat es doch manchmal Zeit gekostet.
Nein, das war bei uns anders strukturiert. Wir hatten einen sogenannten Pickett-Dienst – entsprechend dem deutschen Bereitschaftsdienst. Derjenige, der „Pickett“ hatte, musste bleiben solange unfallchirurgische Patienten da waren.
Zusätzlich musste man nachts in die Klinik kommen, wenn Operationen anstanden. Das war beispielsweise von Freitag bis Montag der Fall. Dann musste einer – im Winter zwei – Kollegen diesen Dienst übernehmen. Das konnte bedeuten, dass man durchgehend Dienst hatte: Die gesamte Nacht hindurch und gleich am Morgen wieder antreten.
Das ist somit anders als 24 Stunden-Dienste. Hier weiß man, dass man 24 Stunden bleibt und dann nach Hause gehen kann.
Natürlich ist der Operationssaal für den chirurgisch interessierten Arzt der spannende Moment. Dort arbeitet man sehr strukturiert: Auch wenn die Welt draußen unter geht, es geht nur um diesen einen Patienten und du musst das Bestmögliche daraus machen.
Wenn man Ski fährt, sollte man es mit Rücksicht auf die Natur machen. Gerade im Wintersport ist der Klimawandel sichtbar. Man sollte keinen Müll hinterlassen und nicht in Naturschutzgebiete eindringen. Man sollte auch nicht zu laut sein. Das klingt profan, aber laute Musik stört Tiere.
Rücksichtnahme betrifft aber nicht nur die Umwelt, sondern auch die Einheimischen. Man kommt in eine Region und hinterlässt sie auch irgendwie. Deshalb sollte ein gewisser Respekt den Einheimischen gegenüber da sein. Sie sind nicht nur Dienstleister, sondern verbringen ihr Leben dort.